Tapfer bleiben – das war eine beatlastige Woche, ich gebs zu … und für den Start in den Tag ist dieses Album nicht zwingend die erste Wahl: Erstmal Betriebstemperatur erreichen!
Es gibt Künstler:innen, an denen führt kein Weg vorbei, wenn frau sich für ein bestimmtes Genre interessiert und in die Tiefe geht: Ein Blick auf ihren Output – in diesem Fall über 30 Alben, über 100 EPs/Maxis – verstärkt diesen Eindruck. Seit Jeff Mills 1992 als Solokünstler im Techno-Genre vorstellig wurde und sich umgehend als feste Größe etablierte, sind zwar beinahe 30 Jahre vergangen. Doch schon seine frühesten (sehr beat-domnierten) Veröffentlichungen, »Changes Of Life« etwa, sind aus beinahe dem gleichen Holz, aus dem seine späteren, deutlich komplexeren, auch teils ruhigeren Stücke sind – Empfehlung hierzu: Sein Soundtrack zu Fritz Langs »Frau Im Mond« (»Woman In The Moon«, 2015). Wenn es eine Personifizierung von Techno gibt, dann ist es Jeff Mills. Und zwar als Produzent/Musiker, als auch als DJ.
Es kursieren genügend Videos im Internet, die ihn beim Auflegen zeigen (Link im zweiten Kommentar) – Markenzeichen: Drei Plattenspieler, die er mit der gleichen Souveränität bedient, mit der seine Finger permanent an die Klangregler des Mischpults greifen und feinjustieren. Immerzu. Auflegen in Perfektion. Jeder Handgriff sitzt, jeder Beat passt. Da ist es beinahe eine Wohltat, diese frühe Mix-CD von ihm zu hören – es sind kleine handwerkliche Schnitzer dabei, mal muss er schieben, mal bremsen. Aber darum geht es hier nicht, der Name ist Programm: Es handelt sich um einen Live-Mitschnitt aus einem Tokioter Club, die Crowd ist dezent eingeblendet, aber der Fokus liegt natürlich auf dem (damals schon) Star-DJ, der die Menge im Handumdrehen (Achtung: Wortspiel 😉 ) zum Tanzen bringt. Der erste, beste Teil dauert 37 Minuten, in denen er nicht weniger als 22 (!) Platten mischt, darunter, in aller Bescheidenheit, acht eigene.
:format(jpeg):mode_rgb():quality(90)/discogs-images/R-9459-1339517243-2558.jpeg.jpg)
Uuuuund: Abflug! Nach einem flächigen Intro (auch von ihm) kommt der 4/4-Beat dazu – und bleibt. Geht nicht mehr weg. Pumpt. Und pumpt. Oder bollert. Und das deutlich jenseits der 120 BPM, die eine/n bei Tanzmusik auch mal nur gemütlich mitwippen lassen. Hier nicht möglich – Energie pur. Und obwohl vieles nicht wirklich anders produziert ist als der stumpfste Deppentechno, der schon vor 1996 das Genre schwer beschädigt hat, ist das hier komplett anders. Energie pur. Und pumpt. Oder bollert … wer eine gute halbe Stunde zum Abtanzen braucht und ein Faible für rohen Minimalismus hat (und eine gute Anlage), langt hier hin und lässt das laufen. Sitzenbleiben – eigentlich – unmöglich. Aber eben auch nicht Kost für jeden Tag und jede Stimmung.
Epilog: Discogs zeigt mir 29 Veröffentlichungen von Jeff Mills in meiner Sammlung, live habe ich ihn allerdings nie gesehen … aber ich durfte einem durchaus vergleichbaren Wizard auf die Finger schauen: »Magic« Juan Atkins, in Berlin, im Tresor. Freund Frank und ich waren dort, schon recht früh am Abend, so dass wir uns bequem vor dem DJ-Pult positionieren und zuschauen konnten – wir wollten ja was lernen. Der Umstand, dass auch er schnell wie der Blitz mit seinen Händen Platten auf die Teller beförderte, anschob und mit dem Pitch auf die richtige Geschwindigkeit brachte – viel schneller als wir es je können würden –, war es nicht, der uns beide wie begossene Pudel dastehen ließ, sondern dass er (an diesem Abend zumindest) schlicht keine Kopfhörer benutzte (zum Vorhören) – völlig irre: Atkins legte eine neue Platte auf, schob sie an, zuckte mal kurz am Fader, um irgendeine kleine akustische Orientierung zu bekommen, wo im (neuen) Track die Nadel gerade saß, dann noch zwei drei kurze Zucker am Fader, um das Tempo anzupassen … und rein damit. Ohne hörbare Fehler bis auf zwei, drei kurze, etwas willkürlich wirkende Beats zuvor, die nur uns auffielen, weil unsere Augen an den Plattentellern klebten. Liefen die Scheiben dann synchron, spielte auch er souverän mit den Klangreglern (Beat hier, Melodie dort – dann umgekehrt oder gedoppelt), bevor – zack – wieder gewechselt wurde.
Nach fast 30 Jahren frage ich mich, ob meine Erinnerung hier nicht trügt, aber dann telefonieren Frank und ich mal wieder, und wenn wir auf früher zu sprechen kommen, kommt irgendwann »Mensch, weißt Du noch damals, im Tresor? Juan Atkins? Ohne Kopfhörer!« …