Seit 1996 gibt es in München das »Festival für Experimentelle Musik«, jedes Jahr am zweiten Samstag im Dezember. 2005 war ich selbst zum ersten Mal als Gast zugegen, seither quasi jährlich – mit Lücken nur dann, wenn der zweite Samstag zufällig mit dem Geburtstag meiner Mutter kollidiert (Prioritäten, you name it). Auch 2018 hat es terminlich wieder gepasst, und so war der Besuch schon ein paar Wochen im Voraus geplant, bevor ich am 8. Dezember wieder gen München pilgerte …
Das besondere an diesem Festival ist zum einen die personelle Kontinuität: Stephan Wunderlich und Edith Rom vom Verein für experimentelle Musik e.V. sorgen als Macher hinter den Kulissen nicht nur für Kontinuität, sondern gehören selbst von je her zu den Aufführenden – neben einigen anderen Dauergästen aus München, wie etwa dem Phren-Ensemble oder Hans-Rudolf Zeller. Dann gibt es da noch die »anderen« Gäste, die aus der ganzen Welt anreisen, um hier aufzutreten: Tom Johnson, Paul Panhuysen, Max Eastley, Limpe Fuchs, Ignaz Schick, Boris Hegenbart – Namen, die Bad Alchemy-Lesern durchaus geläufig sein dürften.
Zum anderen verblüfft das Festival durch eine straffe Organisation, die es ermöglicht, zu einem moderaten Eintrittspreis (dank Förderung durch die Stadt München) jedes Jahr etwa ein Dutzend Aufführungen zu hören/sehen – in gerade Mal 5–6 Stunden, denn die Aufführungen dauern i.d.R. nicht länger als 30 Minuten, Umbaupausen entfallen, da die Klein- und Kleinstbühnen bereits fertig bestückt im Raum verteilt sind und somit nicht die Aufführenden die Bühne betreten oder verlassen, sondern das Publikum sich zur nächsten Bühne bewegt. Ein brilliantes Konzept, das nicht nur in der TU-Mensa sehr gut funktioniert hat, sondern auch in der etwa nur halb so großen Aula in der Akademie der Bildenden Künste, wo das Festival seit 2012 stattfindet.
War der Umzug ursprünglich als Übergangslösung gedacht, hat sich die Aula m.E. klar als der bessere Ort profiliert: Trotz des Namens handelt es sich nicht um einen Durchgangsbereich, sondern einen geschlossenen Raum, der immer noch mehrere hundert Menschen (auf Stühlen) fassen kann, und wirkte die Optik, gegenüber der nüchternen Glas-Beton-Mensa vorher, mit ihren deutlicheren historischen Bezügen und den schweren, riesigen Wandteppichen anfangs eher befremdlich, so muss gerade aufgrund dieser Wandteppiche konstatiert werden: Die Akustik des Raumes ist fantastisch, gerade die eher leiseren Stücke profitieren davon …
… wobei man von Stücken nicht immer sprechen kann. Das besondere an diesem Festival und an den Aufführungen ist, dass eben nicht alles »Stück« oder »Komposition« ist, sondern der Fokus vor allem auf der Praxis des Aufführens liegt. Das wurde in diesem Jahr besonders augenfällig beim Auftritt von Tomomi Adachi und seiner »Ancient Chinese Experimental Music No.4 (Improvisation with self-made instruments, electronics and voice)« als zweitem Programmpunkt. Zuerst grob zweigeteilt in einen Kurzfilm plus anschließende Ein-Mann-Live-Improvisation, erwies sich dieser zweite Teil als Feuerwerk an verschiedenen klanglich-musikalischen Ideen (Homemade Instrument, Stimme, Effekte), von denen jede einzelne anderen für mehrstündige Konzerte, möglicherweise sogar für eine ganze, Dutzende Tonträger umspannende Diskografie reichen würde. Darin formal und technisch übrigens das krasse Gegenteil des Eröffnungsstücks von Hans Rudolf Zeller: »RAUCHEN VERRBOTTEN« (Version für Ensemble 20181208) – mittels eines Tageslichtprojektors wurden mit Schreibmaschine beschriebene Folien von Hand gewechselt, während das mehrstimmige Sprecherensemble (wieder Wunderlich, Rom & Co., quasi die »Hausband« des Festivals) im Publikum verteilt die (projizierten) Silben sprach.
Überhaupt: Der Sprache resp. menschlichen Stimme kommt eine zentrale Bedeutung beim Festival zu, denn oft steht sie, neben der Geste, im Mittelpunkt der Vorführungen. Die Performances der KünstlerInnen um Wunderlich und Rom (Stimme) oder Zeller (Geste) sind so ziemlich das Gegenteil der »Materialschlachten«, die die Übrigen aufführen – am radikalsten hierbei vermutlich Michael Barthel aus Leipzig, dessen Sprechkonzerte tatsächlich mit zum Extremsten gehören, was mir bisher untergekommen ist.
Das nächste Internationale Festival der experimentellen Musik findet am 7.12.2019 statt. Alle Informationen unter
Ursprünglich erschienen in Bad Alchemy #104, Dezember 2019.
Bad Alchemy Website …