9/10. Fennesz: »Endless Summer« (2001/2010)

Eigentlich haben Oval diesen Sound Mitte der 1990er breitenwirksam eingeführt: Digitale Fehler, die sich meist in relativ schnellen Pattern bemerkbar machen (das war ihrem Arbeitsmedium CD und den 500 RPM geschuldet). Mehrere Genres der elektronischen Musik gründen darauf, die auf Namen wie »Clicks&Cuts« oder »Glitch« hören. Und doch ist der große Wurf, um nicht zu sagen: Meisterwerk auf diesem Gebiet ganz klar einem österreichischen Gitarristen gelungen … und zwar gerade, weil er die Gitarre zum Ausgangspunkt nimmt, um mit digitaler Verzerrung und Manipulation die Klänge in ganz neue Dimensionen zu katapultieren.

Schon der Opener »Made in Hongkong« verblüfft mit vordergründig abstrakten, scheinbar kaputten Sounds, um dann doch (s)eine klare, melodische Struktur zu zeigen, der folgende Titeltrack tänzelt als erstes Highlight auf einem sowieso makellosen Album beschwipst zwischen den Lautsprechern umher, »One Year In A Minute« erscheint düsterer, molliger, bevor »Caecilia« beinahe spieluhrmäßige, sehr perkussive Elemente mit eher balladesker Stimmung kontrastiert. »Got To Move On« wieder torkeliger, »Shisheido« dann das quasi deutlichste Bekenntnis zum Klangerzeuger Gitarre, bevor »Before I Leave« nochmal sehr pattern-betont den digitalen Prozess in den Vordergrund stellt und »Happy Audio« zum Ausklang über 10 Minuten rasenden Stillstand zelebriert. Diese (laienhaften) Anmerkungen bezogen sich auf die acht Tracks der Original-LP von 2001, ich selbst besitze die CD-Wiederveröffentlichung (10 Tracks) von 2006 und die DoLP (12 Tracks) von 2010.

Spannend an Fennesz finde ich die Entwicklung: Als Gitarrist hat er sich nicht langsam zur Elektronik hin entwickelt, sondern offenbar zuerst mit seinem Instrument gebrochen: Sein Solo-Debut »Hotel Paral.lel« (1997) ist weit weniger zugänglich, die streckenweise eher abstrakten elektronischen Klänge ähneln mehr manchen Veröffentlichungen auf dem finnischen Sähkö-Label als seinen raumgreifenden, mitunter elegischen späteren Veröffentlichungen (»Mahler Remix«, 2014, oder jüngst »Agora«, 2019). Mit »Endless Summer« scheint er jedoch den radikalen Bruch überwunden zu haben, auf dem Album erklingen Gitarre und Elektronik in beinahe trauter Harmonie. Da ich 15 Alben von ihm besitze, wage ich zu behaupten: Das hier ist sein bestes – auf einigen Platten würde ich ihm zuweilen einen leichten Hang zum Manierismus unterstellen. Auffällig ist schon, dass bestimmte Sounds oder Phrasierungen mittlerweile eine Art Erkennungs- resp. Alleinstellungsmerkmal darstellen – eine Falle, in die viele tappen, nachdem sie einmal »ihren« Sound gefunden haben.

Ich würde mich auf kein Genre festlegen wollen, erst recht keines der eingangs genannten – für mich ist »Endless Summer« eher die perfekte Symbiose aus experimentellen und meditativen Klängen: Funktioniert ausgezeichnet als Hintergrundmusik, bietet aber beim genauen Hinhören genügend Futter, um sich mit Struktur/Rhythmus wie auch Melodie/Harmonie zu beschäftigen. Den Farbenreichtum der Klänge finde ich so faszinierend wie die Rhythmik, die nur oberflächlich fehlerhaft daher kommt – und ja: Das ist auch eine umwerfende Sommerplatte, vor allem für die Abendstunden.