Wanderer, kommst Du nach Ga…

Lesedauer ca. 5 Minuten Bericht über (ehrlicherweise: Werbung für) eine Ausstellungsreihe im privaten Rahmen in der fränkischen Provinz (an der ich selbst regelmäßig beteiligt war). Erschienen im Juni 2005 in der nummer sechs.

Kunst an ungewöhnlichen Orten

Wie schon im Editorial zur nummer 5 angedeutet, beginnt mit der Schönwetterzeit auch die Saison für kleine und große kulturelle Events abseits der etablierten Orte. Das spricht nicht gegen ebendiese Orte, die, sofern sie tatsächlich kulturell Wertvolles bieten, heutzutage eh kaum unter einer nicht zu bändigenden Besucherlast leiden.

Da kommt die Konkurrenz durch Amateure, also Liebhaber im eigentlichen Wortsinn, gerade unrecht. Dabei heißt Konkurrenz hier nur selten, daß man auf gleicher Augenhöhe mit den Profis ist, was die Darbietungen oder Exponate angeht: Es gibt die unwiderlegbaren Unterschiede, beispielsweise zwischen dem Geklampfe auf der Wandergitarre und dem Streichquartett im Rokokogarten, oder zwischen dem schnell hingehängten Bild an der Garagenwand und dem hochversicherten, alarmgeschützten Kunstwerk im ideal klimatisierten Raum.

So soll dieser Artikel nicht die Notwendigkeit oder gar Verdienste professioneller Kulturschaffender resp. -veranstalter in Frage stellen (im Gegenteil: Sinn und Zweck dieser Zeitschrift ist ja gerade auch die ideelle Unterstützung dieser!), sondern eventuell Anregungen bieten zur Freizeitgestaltung abseits von bloßem Konsumverhalten und beliebigem Zeitvertreib. Letztlich geht es einmal mehr darum zu behaupten, daß Kultur eben nicht immer nur fordernd ist (Aufmerksamkeit, Geld, Zeit, Intellekt etc.), sondern sich durchaus ins soziale Geschehen integrieren läßt.

Christian Walter und Dorothee Fröhlich laden seit 1998 jährlich am Pfingstsonntag in ihre »Scheune« nach Gambach ein. Das Dorf, das von Würzburg aus gesehen als erstes hinter Karlstadt liegt (B27 Richtung Gemünden), dürfte kulturell überwiegend im Bereich der Mainfranken-Folklore (Mixtur aus Bier- und Weinfesten, Kirchweih, Fasching, Freiwilliger Feuerwehr, Fußball- und Musikverein etc.) bekannt sein, weniger als Treffpunkt für zeitgenössische Kunst und Kultur.

Die alte Scheune

Gerade dieser bieten Walter und Fröhlich einen Ort, an dem zumindest einmal im Jahr bei ungezwungener Atmosphäre in privater, aber nicht geschlossener Gesellschaft Kunst und Künstler (be-)greifbarer werden. Die beiden sind »Zugezogene« und leben und arbeiten eigentlich in Frankfurt am Main, stammen jedoch aus Mainfranken (Rottendorf bzw. Werneck), sind in Würzburg zur Schule gegangen, und Fröhlich hat hier auch ihr Pharmazie-Studium absolviert. Walter zog es dagegen frühzeitig nach Frankfurt, wo er am Städel ein Kunststudium absolviert hat.

Aus dieser und der nachfolgenden Zeit rühren die Kontakte zu den Künstlerinnen und Künstlern her, die in der »Scheune« regelmäßig ausstellen. Marko Lehanka etwa, der schon an der Biennale in Venedig teilgenommen hat und bei der ersten »Scheune« einen Brunnen präsentierte, dessen spätere Fassung im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt steht. Oder Susanne und Albrecht Wild, die leider in den letzten beiden Jahren nicht mehr teilgenommen haben. Dann wären da noch Hans Brückner, der erst vor wenigen Jahren von Würzburg nach München umgezogen ist, oder eben Walter selbst, um nur ein paar wenige »personelle Konstanten« zu nennen.

Auch Absolventen des Fachbereichs Gestaltung der FH Würzburg-Schweinfurt sind vertreten: Thomas Hintner etwa, der als Mitarbeiter der Satirezeitschrift »Titanic« entsprechend schlitzohrig in seiner Bildersprache daherkommt und in den letzten Jahren die wohl vordergründig provokantesten Arbeiten präsentiert hat; oder der Autor selbst, der seit 1999 mit unterschiedlichen Konzepten und Arrangements (und entsprechend unterschiedlichen Qualitäten) dem Thema »Klanginstallation« beizukommen sucht.

Flankiert wird der Kunstgenuss von der zweiten dominanten Komponente des Events: Zubereitung und Verzehr von selbst mitgebrachtem Grillgut – was das Ganze wirklich zu einem soziokulturellen Ereignis erster Güte macht. Die Berührungsängste zwischen Künstlern und Publikum lösen sich in Rauch auf, wenn am Grill stehend diskutiert wird über Kunst, Kultur, Politik, Leben – oder eben Grilltechniken.

Wer hier eine Vermengung von Widersprüchlichem vermutet, liegt allerdings falsch. Wohl gibt es die »Kurzbesucher«, die eilig durchlaufenden Kunsttouristen, die einmal, zweimal die Exponate in Augenschein nehmen und sich eventuell noch ein Täßchen Kaffee nebst einem Kuchenstück aus der Küche holen; die bringen natürlich temporäre Unruhe in den Fluß des Geschehens. Es gibt aber auch eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Gästen, die den Zeitraum von sieben Stunden mehr oder weniger nonstop vor Ort verbringen, schauen, grillen, plaudern und eventuell auch eine kurze Wanderung machen (zum metallenen Edelweiß abseits vom Dorf etwa).

Die anfängliche Dominanz Frankfurter Künstlerinnen und Künstler bzw. Besucherinnen und Besucher hat sich inzwischen deutlich verlagert – nicht zuletzt aufgrund der geringeren Entfernung finden sich immer mehr aus Würzburg und Umgebung ein.

Alte (links) und neue (rechts) »Scheune«

Noch ein kleiner Hinweis zum Wortgebrauch »Scheune«: Der marode Fachwerkbau war ökonomisch nicht sinnvoll zu erhalten bzw. zu restaurieren, so daß ein schmucker Atelierneubau (vom Würzburger Architektenbüro Kuntz und Manz) seit 2001/02 die alte Scheune ersetzt hat. Für Walter und Fröhlich war dieser Umbau wohl schon seit dem Kauf des Anwesens 1994 unvermeidlich, für die teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler hat sich aber die Ausstellungssituation geändert: Zum Positiven, weil man nun nicht mehr befürchten muß, daß die Exponate durch das undichte Dach einem möglichen Regenguß ausgesetzt wären (es hat bisher jedoch noch nie geregnet, selbst dieses Jahr fiel trotz verhangenem Himmel kein Tropfen!). Aber auch zum weniger Positiven hin, da die Exponate sich in der alten Scheune ganz anders eingefügt haben als im Atelierneubau, der doch eher gewohnte Galerienatmosphäre verströmt.

So bleiben die Arrangements der Bilder hoch oben im Gebälk, das einbrechende Licht durch die Löcher in Dach und Wänden, die verstreuten Exponate neben rostigem, landwirtschaftlichem Kleingerät und die Offenheit des Raumes, der den Unterschied zwischen drinnen und draußen vergessen ließ, nur noch im Gedächtnis haften und können vereinzelt auf Fotografien begutachtet werden, dokumentiert in dicken, selbstgefertigten Bildbänden von Christian Walter. Die liegen nächstes Jahr am Pfingstsonntag wieder aus. In Gambach.


Zuerst erschienen in der Würzburger Kulturzeitschrift nummer, Ausgabe sechs (Juni 2005), S. 23–25.
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