Faust – End of a legend

Lesedauer ca. 13 Minuten Kritik (genauer: Verriss) eines Konzerts der deutschen Gruppe Faust im Kölner Stadtgarten 1996. Erschienen 1996 in Bad Alchemy #28.

Nachdem immer wieder sporadisch Konzerte der längst mit Kultstatus belegten deutschen Band Faust stattfanden (von denen man immer nur nachher erfuhr), bot am 5. Juli 1996 das Kölner »Joined«-Festival, organisiert von der sympathischen und rührigen A-Musik-Posse, erneut Gelegenheit, die Band live zu erleben, deretwegen Chris Cutler sein Recommended Records-Label gegründet hatte (das Label wohlgemerkt; der Vertrieb datiert etwas länger zurück).

Faust gehörten – neben Bands wie Amon Düül, Guru Guru oder Kraftwerk – zu den Exponenten einer neuen deutschen Rockmusik, wie sie Anfang der 1970er Jahre überall hierzulande wie Pilze (!) aus dem Boden zu schießen schienen.

»Es war damals eine Veränderung nötig. Keiner wollte diesen amerikano-englischen »Ich habe kein Geld, ich habe keine Schuhe, mein Baby liebt mich nicht mehr«-Rock’n’Roll mehr hören. Die Zeit war reif.«

Jean-Hervé Peron in Unsere Kleine Welt #3/1995

Im Gegensatz zu den bekannteren Bands wie Kraftwerk oder Tangerine Dream, die spätestens ab Mitte der 1970er Jahre enorme kommerzielle Erfolge verbuchen konnten, verschwanden Faust um 1974 von der Bildfläche. Ihre Hinterlassenschaft betrug fünf LPs, eine davon als Joint Venture mit der Minimal Music-und Expanded Cinema-Kultfigur Tony Conrad.

1979 begann Chris Cutler, die mittlerweile vergriffenen LPs wiederzuveröffentlichen (»Outside The Dream Syndicate«, die LP zusammen mit Conrad, wurde 1994 auf dem amerikanischen Table 0f The Elements-Label wiederveröffentlicht). Der Kontakt zu Cutler rührte noch aus der Hoch-Zeit der Rock-In-Opposition-Szene: Peter Blegvad (Slapp Happy) war kurzzeitig Faust-Mitglied, und 1980 erschien auf Recommended Records eine Slapp Happy/Faust-LP mit dem Titel »Casablanca Moon« (in anderer Form als »Acnalbasac Noom« als Slapp Happy-LP wiederveröffentlicht). Später erschienen auf Recommended Records noch »Return Of A Legend/Munic & Elsewhere«, »The Last LP« sowie eine CD »71 Minutes Of Faust«, die wohl Material der letztgenannten enthält sowie Material, das als »Party« in kleinen Häppchen auch schon als 7″ und auf dem Recommended Records-Sampler veröffentlicht wurde.
Im Laufe der 1980er Jahre wurden die Recommended-Reissues immer wieder nachgepresst – gerade so, dass man immer mal wieder zufällig eine in die Finger bekam. Cutler hat seine Wertschätzung für die Band oft genug betont, und eine Hommage erfuhren Faust sicherlich auch durch die Coverversion von »It’s a rainy day, sunshine girl« (von der LP »So Far«/1972) durch die nicht minder unbekannte französische Band DDAA (auf der MCD »Bruit son – petit son«/1991).

Anfang der 1990er hatten Faust einen wirklich legendären Ruf in den Kreisen, die sich für Grenzgängereien und alternative Ansätze in der populären Musik interessierten. Ihre Platten gehörten in jede bessere Sammlung, das Debut war schließlich auch optisch ein Leckerbissen: transparentes Vinyl, transparentes Cover mit der legendären Röntgenaufnahme einer zur Faust geballten Hand.

1991 dann erzählt mir ein Freund, der gerade frisch nach Hamburg gezogen war, von einem Faust-Konzert in der Prinzenbar.
Faust-Konzert? Tatsächlich hatten sich der harte Kern des einstigen Quintetts, Jean-Hervé Peron und Werner Diermaier, wieder zusammengetan und in der Prinzenbar den Startschuss für eine Reihe von Konzerten gegeben, die in der Folgezeit in England, Amerika und Deutschland stattfanden. Man kan annehmen, dass die Amerika-Konzerte (zusammen mit Gate, Thurston Moore, Cul De Sac, Jim O’Rourke, Zeena Parkins, Tony Conrad (!), dem Japaner Keiji Haino und den englischen AMM) den Kontakt zum Table Of The Elements-Label soweit intensivierten, dass dort nicht nur (wie bereits erwähnt) »Outside The Dream Syndicate« wiederveröffentlicht wurde, sondern auch zwei Live-CDs (vom Gig in Hamburg sowie von einem Gig im Londoner Marquee). Faust – so scheint es – sind wieder voll da, und wieder finden sich ihre Veröffentlichungen auf einem unabhängigen Label.
Man muss dazu anmerken, dass die frühen Faust-Originale von Polydor bzw. Virgin veröffentlicht wurden; damals war allerdings a) die Risikobereitschaft bei Major-Labels eine ganz andere als heute; b) die Independent-Szene faktisch nicht vorhanden, da nicht notwendig – siehe Punkt a; c) Virgin ja eigentlich ein »Indie«.

1995 ist es endlich soweit: nachdem sich die Euphorie der Kritiker und Fans an der Wiederveröffentlichung von »Outside The Dream Syndicate« entladen hat und für die beiden mittelmäßig bis schlechten Konzertmitschnitte wenig davon übriggeblieben ist, erscheint nach über 20 Jahren das neue Faust-Studio-Album. »Rien« wird wiederum von Table Of The Elements veröffentlicht, und hier sind sich alle einig: Faust sind wieder da! Und zwar nicht als Anachronismus (wie die ebenfalls wiederbelebten Amon Düül), sondern als gewaltiges Sound-Unterfangen auf der Höhe der Zeit.

Auf der Höhe der Zeit? Mittlerweile sind Industrial, Punk, New Wave, EBM, Techno, Ambient und viele andere Begriffe gefunden worden, um Musik abseits des Adult Orientated Rock zu beschreiben. Improvisierte Musik hat längst Anschluss an die Straße gefunden und wird nicht mehr ausschließlich in exklusiven Intellektuellenzirkeln goutiert. Generell werden Schubladen und Kategorisierungen immer zurückhaltender verwandt. Und nichtmusikalischer Lärm hat längst Einzug gehalten in alle möglichen Spielarten moderner Musik.

In all das platzen Faust mit »Rien«. Eine schlichte, dezente Verpackung verrät nichts von der Geschichte der Band, die einzelnen Stücke pendeln zwischen brachialem Lärm und verhalteneren Strukturen, klingen auf ihre eigene Art und Weise frisch und geben einem ein gewisses Vertrauen in die »old school« zurück (nachdem über die Jahre hin sich die ganze, einst so progressive Rock-In-Opposition-Bewegung samt Nachfolge-Projekten mittlerweile in ein einziges Widerkäuen einmal verinnerlichter Experimentierlust verwandelt hat, deren Klientel heute überwiegend in gesetzterem Alter zu suchen ist). Einzig das Schlagzeug Diermaiers, das auf einigen der Tracks die rhythmische Grundlage bildet, verrät die Herkunft der Band – und das nicht etwa im negativen Sinne. Denn im gleichen Maße, in dem die Drums Erinnerungen an die klassischen Krautrock-Grooves wachrufen, werden diese akustischen Deja-vus gebrochen von elektronischen Sounds allererster Sahne, zeitlos und immer wieder prickelnd. Dabei gibt sich »Rien« weitaus abstrakter als die früheren Faust-Veröffentlichungen mit ihren teilweise offenkundigen Vorlieben für das Format des (Rock-) Songs – und empfiehlt sich ob all der genannten Charakteristika nicht nur für Neueinsteiger, sondern auch Freunde der ersten Stunde. Ich möchte sogar behaupten, dass es sich um eines der garantiert unverzichtbaren Alben 1996 handelt.

In der Nacht vom 5. auf den 6. Juli, im Stadtgarten Köln, ist es dann endlich soweit. Faust betreten die Bühne. Während Diermaier in den vergangenen Jahren wohl deutlich an Haarpracht verloren hat, hat sich Jean-Hervé Peron seine Haare (und den Bart) wohl seit der Debut-LP 1972 nicht mehr geschnitten. Auf der Bühne werden langsam die schwarzen Verhüllungen von den Instrumenten genommen, die da wären, neben einigen Gitarren und Kisten mit vielen Reglern: Heizöltank, Betonmischer, Eisenplatten, Heugebläse. Im Verlauf des Konzerts gesellen sich noch so sympathische Effektgeräte wie Flex, Schweissapparat und Motorsäge dazu – das alles sieht ja sehr vielversprechend aus.

Was dann allerdings passiert, würde ich als die müdeste, angestrengteste, unzusammenhängendste und uninspirierteste Live-Show bezeichnen, die ich bisher sehen musste. Zwei Explosionen in den ersten zehn Minuten des Konzertes verfehlen ihre Wirkung komplett, und lassen alles folgende zum bloßen Abspulen einmal liebgewonnener Effekte gerinnen. Diermaier blickte denn auch entsprechend konsterniert drein, nachdem das Publikum nicht in Ehrfurcht verharrte, sondern immer wieder Gelächter und Zwischenrufe die Ur-Opas experimenteller deutscher Musik meiner Meinung nach sichtlich nervös machten. Peron zumindest wird sich nach einer furchtbar dilletantischen Einlage am E-Bass fragen lassen müssen, ob er jemals zuvor ein Musikinstrument in der Hand gehalten hat (gleiches gilt für seine uninspirierte Trompeteneinlage). Auch Diermaier arbeitete nur am konventionellen Drum-Set präzise – ansonsten hinterließ er ebenfalls den Eindruck eines nicht gerade mit Können beschlagenen Musikers. Einzig der Elektroniker der Band (Johann Irmler? Klaus Hölzenrath?) zog sein Sound-Ding durch, immer wieder unangenehm unterbrochen von den stümperhaften Rest-Faust.

Ein mir unbekannter, junger Gastmusiker, der sowohl Obertongesang als auch Didgeridoospiel beisteuerte, wirkte ebenso fehl am Platze wie die Gimmicks, die Faust während ihrer Performance herunterleierten. Flex und Schweissapparat verfehlten ihre Wirkung, einzig der Betonmischer, den Diermaier mit Holz fütterte, entwickelte eine gewisse Klasse – war aber leider unverstärkt. Was also ein herrliches Fundament für ausgedehnte Soundexkursionen hätte werden können (ansatzweise auch auf »Rien« zu hören), blieb lediglich ein weiterer Gag, über den niemand schmunzeln mochte.

Generell glaube ich, dass gerade dieses stereotype Herunterbeten der Gimmicks Faust live zu einer unerträglich verkrampften Angelegenheit gemacht hat. Keine Spur – nicht einmal ansatzweise – von Souveränität seitens der Band, Desinteresse auf Seiten des Publikums und Beliebigkeit des dargebotenen musikalischen Materials; was braucht es noch, um hier mit Etiketten wie »Scheiße« argumentieren zu dürfen?

Vollends lächerlich war dann auch das Stück, bei dem Peron zornig ins Mikrophon schrie: »La Monte Young! Get out of town!! Now!!!«. Mit diesem Affront gegen eine der Ikonen der Minimal Music – zur Zeit ja wirklich omnipräsent [das war ironisch gemeint] – zeigten sich Faust natürlich glasklar auf der Höhe der Zeit.

Plötzlich wird auch die Aussage eines ehemaligen Faust-Gründungsmitglieds (am Telefon meinem Freund Martin Büsser gegenüber geäußert), der schon sehr lange nichts mehr mit der Band zu tun hat, schlüssig: »Rien« sei keineswegs ein Faust-Album, vielmehr ein Jim O’Rourke-Album. Ich habe natürlich bisher verschwiegen, dass O’Rourke bei »Rien« sowohl für Mix als auch Produktion verantwortlich zeichnet. Tatsächlich hat er aus unzähligen Musik-Fetzen, die bei den diversen Faust-Konzerten aufgezeichnet worden sind, eine Art idealisierte Faust-Platte zusammengebastelt. Jean-Herve Peron bemerkte dazu sinnigerweise:

»I felt a bit ashamed to say that: that out of bits and pieces Jim has made a Faust thing. There is an ambivalent meaning with »Rien«. If you say »C’est Rien de Faust« – (mit dieser Ansage beginnt die CD), now you can look at it both ways, you know what I mean? It’s »Nothing from Faust«, and it’s »Nothing from Faust«. I don’t know how thick we have to spread this, but that’s what it is: very ambivalent.«

Jean-Hervé Peron in The Wire #145/März 1996

»Rien« also als Album einer (man möchte sagen: virtuellen) Gruppe Faust, die nichts weiter ist als ein Klon der Original-Faust – makellos und im Vergleich zum stark eingeschränkten Live-Können stark beschönigt?

Faust und Faust. Hier die Legende, deren frühe LPs zu den Meilensteinen progressiver Musik gezählt werden, dort das Projekt des eigensinnigen Jean-Hervé Peron, der einen Narren an ein paar optischen/akustischen Effekten gefressen hat – so sehr, dass er darüber die Musik vergisst. 1991, in der Prinzenbar, war der Höhepunkt des Konzerts eine überraschend hervorgezauberte Kettensäge, mit der Buchstaben in eine Holzwand gesägt wurden.

»We have had a spontaneous idea in the form of a message that I had to carve on stage with my chainsaw. It is ARTERROR. I don’t know if the chainsaw obliged me to drop the »T« or if I wanted to write it this way. We are somewhere in the Art, and somewhere in the Terror, and, thanks almighty, we are in Error.«

Jean-Hervé Peron in The Wire #145/März 1996

Diese »spontane Idee« findet sich ebenfalls im Faust-Live-Schema 1996 wie eine andere:

»We would make a Faust feast, with a hay-blowing machine. We’ve done it already in Holland; the people enjoyed it, and what a feast. …«

Jean-Hervé Peron in The Wire #145/März 1996

Leider habe ich dieses Erntedankfest verpasst, denn meine (Un-) Geduld trieb mich bereits vor Konzertende aus dem Saal. Zwar durfte ich Zeuge des irgendwo am hinteren Bühnenrand spontan stattfindenden Kettensägenmassakers werden, das Heu habe ich nur noch in der Pause nachher zu Gesicht bekommen.

»I like to blow fresh grass into the audience. It’s olfactive for the nose. It’s for the eyes and the nose. There is a message in there. I don’t know what it means but it’s nice to have fresh cut grass.«

Jean-Hervé Peron in The Wire #145/März 1996

Dieses und mehr belangloses Geschwätz von Faust-Mastermind Jean-Hervé Peron findet sich im englischen Wire. Im »Unsere Kleine Welt«-Fanzine, aus dem das eingangs aufgeführte Zitat stammt, finden sich noch mehr von Peron vorgetragene Argumente, anhand derer sich jeder eine eigene Meinung bilden kann. Mir hat schon bei der Wire-Lektüre der arrogant anmutende Tonfall nicht geschmeckt – aber man kann das ja auch auf die Fremdsprachlichkeit abwälzen. Im O-Ton kommt allerdings ebenfalls z.T. wirklich erstaunliches Zeug zum Vorschein:

»Es freut mich, plötzlich zu hören, dass es so viele gibt, die sich von dir beeinflusst fühlen. Du hast das Gefühl: es war nicht umsonst. Opfer ist ein blödes Wort, aber man opfert sich, man gibt alles, und das haben wir jahrelang gemacht, kompromisslos. Wir sind bei Polydor rausgeflogen, bei Virgin, keine Kompromisse. Und jedesmal hatten wir die dicke Kohle in Sicht.«

Jean-Hervé Peron in Unsere Kleine Welt #3/1995

Also doch wieder nur die selbe alte Leier vom kompromisslosen (wie ich dieses Wort inzwischen hasse), gegen die Verschwörung der Unterhaltungsindustrie anrennenden Künstler, den niemand versteht. Und der natürlich einzigartig ist. Ist schon schön, dass sich viele Leute von Faust beeinflusst fühlen, aber wehe, eine dieser Bands macht einmal »dicke Kohle«:

»Ich mag diese Leute nicht, ich mag Blixa überhaupt nicht. Ich kann den Typen nicht leiden … Wenn, dann lass die Geschichte so stehen: Die haben noch in die Windeln geschissen, da hatten wir die Musik schon stehen. Die sind nicht daran schuld, aber es ist nun einmal so. Die [Einstürzenden] Neubauten sind später gekommen, sie mussten keine Türen öffnen, alles war offen. Und sie haben eine viel mildere Version präsentiert von der Musik, die wir herauskristallisiert haben.«

Jean-Hervé Peron in Unsere Kleine Welt #3/1995

Ach so, daher weht der Wind: Die Neubauten, deren offizielle Debut-LP »Kollaps« Anfang der 1980er Jahre wochenlang die Charts anführte, die ihre »milde« Musik von Faust abgekupfert haben, die noch »in die Windeln geschissen haben«, als bei Faust irgendetwas stand – das ist natürlich eine Möglichkeit, die Dinge zu sehen. Ich für meinen Teil durfte ein Neubauten-Konzert erst in der späteren Phase (zu Zeiten der »Richterskala«-LP) erleben: War das mild! Wie eine kühle Sommerbrise, die mir und den anderen juvenilen Zuhörern etwas Heu um die vollgeschissenen Windeln geblasen hat! …

Beim Faust-Konzert hingegen wurde ich Zeuge der wahren Kraft – von Kwai- und Ilja Rogoff-Pillen allerdings, dank derer sich die Alt-Hippies durch ihr Konzert schleppten. Nicht ein Hauch der Magie, die die Neubauten selbst zu einem Zeitpunkt auf die Bühne brachten, als sie ihren kreativen Zenit längst hinter sich hatten. Und früher sollen sie noch besser gewesen sein.

Wer weiß, wie Faust früher live waren? Ich bin momentan nur auf eine Stelle in Pascal Bussys Kraftwerk-Biografie angewiesen, wo es heißt:

»… hatte gezeigt, dass viele deutsche Bands im Laufe der 70er Jahre durch ihre Improvisationsversuche allmählich den Anschluss verloren. Das extremste Beispiel dafür waren wohl Faust, deren Live-Auftritte im Vergleich zu ihren Platten wirklich enttäuschend waren …«

Pascal Bussy: Kraftwerk – Synthesizer, Sounds und Samples; München 1995 (S.54)

PS: Das größte Ärgernis bei der ganzen »Joined«-Veranstaltung war, dass die Bühne von Faust mit Beschlag belegt worden war – so dass Maeror Tri (klasse Konzert!) irgendwo in einer Ecke am Boden kauern mussten, Thomas Köner und Cranioclast von einer Empore aus operierten. Dazu kam auf Seiten der Besucher eine gewisse Verunsicherung, ob denn nun jemand spielt oder nicht – die Performances wurden als solche (abgesehen von Maeror Tri) gar nicht wahrgenommen. Ich bin denn auch wieder abgereist (habe den Samstag also verpasst), etwas verärgert über das Faust-T-Shirt, das ich mir vor dem Konzert gekauft hatte und das ich fortan wie eine Narbe als Erinnerung an eines der größten ästhetischen Desaster in der Geschichte progressiver Musik tragen werde. Vielleicht kann man es aber auch in ein bis zwei Jahren wieder anziehen, ohne rot zu werden – wenn Faust (hoffentlich) wieder in der Versenkung verschwunden sind und der Nachwelt verwaschene Erinnerungen bleiben … und ein Packen ganz ordentlicher Platten.

Faust! Get out of Town!! Now!!!


Ursprünglich erschienen in Bad Alchemy #28, 1996.
Bad Alchemy Website …

Cover Bad Alchemy #28 (Rück- und Vorderseite)

Anm.: Die Rechtschreibung wurde minimal angepasst. Da keine Abbildungen vorhanden waren, gibt es hier auch keine – ich fürchte, ich hatte damals in Köln nicht mal eine Kamera dabei …
Die ursprüngliche Textstruktur habe ich ebenfalls leicht verändert, indem ich die Fußnoten (überwiegend Quellenangaben) direkt den entsprechenden Zitaten, die nun eigene Absätze bilden, zugeordnet habe – dadurch wurde der siebte Absatz (in dem Polydor und Virgin genannt werden) etwas länger durch direktes Anfügen der einzigen Fußnote, die keine Quellenangabe war.

Faust: Discographie bei DiscogsWikipediaWebsite (veraltet)

Einige Passagen im Text sind ironisch gemeint – die Ironie kann aber nach mehr als 20 Jahren möglicherweise nicht mehr nachvollzogen werden, deshalb hier der Hinweis (und einmal im Text). Das erwähnte Einstürzende Neubauten-Konzert (ich sah sie live in der Nürnberger »Desi« Ende der 1980er Jahre) habe ich im starken Verdacht, mein Gehör ziemlich ruiniert zu haben – nicht alleine und vollumfänglich, aber doch ganz massiv: Das Klingeln in den Ohren hielt mehrere Tage an … aber es war klanglich das beste Live-Konzert, das ich je erlebt habe. No pain, no gain? (26. März 2020)