Wer sich ein wenig mit sog. »E-Musik« beschäftigt, weiß, dass oft der Titel einer Komposition (oder eines Stückes, denn manches wird gar nicht zwingend »komponiert«, sondern basiert auf einer Idee und deren Umsetzung) fast schon alles verrät: »Still And Moving Lines Of Silence In Families Of Hyperbolas, Part 2 For Voice, Instruments And Pure Wave Oscillators (Numbers 1-4)« etwa ist so ein (Album-)Titel (aus dem Jahr 1983), den frau sich erstmal auf der Zunge zergehen lassen muss … 😉
Vom gleichen Musiker/Komponisten (oder passt Klangforscher besser?), Alvin Lucier, stammt »I Am Sitting In A Room«. So puristisch der Titel anmutet, so stringent sind Konzept und Umsetzung: Lucier spricht einige Sätze (die genau das Konzept erklären, das der »Komposition« zugrunde liegt) in einem Raum – das dauert etwas länger als eine Minute – und nimmt diese mit Mikrofon auf. Die Aufnahme spielt er im gleichen Raum wieder ab – und nimmt erneut mit Mikrofon auf. Die zweite Aufnahme spielt er wieder ab und nimmt ein drittes Mal auf. Und so geht es weiter … ca. 40 mal.
Die Idee, so den Raumklang mit jeder Aufnahme zu verstärken (denn er addiert sich jedesmal aufs Neue dazu), während der ursprüngliche Klang seiner Stimme immer verwaschener, undeutlicher wird, klingt weniger sensationell als das Ergebnis: Schon der ersten Kopie hört man den Einfluss der Raum-Akustik auf das Original an, sehr schnell verfremdet diese die Aufnahme. Die Sätze versinken langsam in einem Sound, der erst noch sehr dumpf, zuweilen basslastig klingt, um dann langsam in eine Art Melodie überzugehen, die einzig von der ursprünglichen Betonung einzelner Worte moduliert wird, ohne dass irgend eines dieser Worte überhaupt noch erkennbar wäre.
Als ich die Platte zum ersten Mal (am Stück durch-)hörte, war ich verblüfft. Und alle paar Jahre hole ich sie raus, um dieser extrem reduzierten, einfachen Übung in Sound-Verständnis zu lauschen – mittlerweile bevorzuge auch ich allerdings die digitale Version, da die Pressqualität der LP, die auf dem amerikanischen Lovely Music Label erschien, nicht wriklich berauschend ist … leider, denn auf diesem Label sind noch andere lohnende Alben zeitgenössischer Komponist:innen/Musiker:innen erschienen (Robert Ashley, David Behrman, Meredith Monk, Annea Lockwood u.v.a.), von denen die wichtigsten allerdings auch auf CD vorliegen.
Nachfolgend der Ausgangstext – wer reinhören mag, findet den Link unten im zweiten Kommentar. Ich empfehle allerdings, hier nicht wie im Zoo mal kurz ans Gehege zu treten und dann kopfschüttelnd wieder weiterzugehen, sondern sich durchaus auf die gut 40 Minuten einzulassen – das Stück funktioniert auch im Hintergrund sehr gut.
I am sitting in a room different from the one you are in now. I am recording the sound of my speaking voice and I am going to play it back into the room again and again until the resonant frequencies of the room reinforce themselves so that any semblance of my speech, with perhaps the exception of rhythm, is destroyed. What you will hear, then, are the natural resonant frequencies of the room articulated by speech. I regard this activity not so much as a demonstration of a physical fact, but more as a way to smooth out any irregularities my speech might have.
Alvin Lucier: I am sitting in a room.