Warum Opa?

Opa erzählt wieder vom Krieg … – das war in meiner Kindheit und Jugend der gängige Spruch, wenn uns die Älteren ihre Ratschläge mitteilen wollten (meistens beginnend mit »Als ich so alt war wie Du, …«). Der Spruch war natürlich despektierlich – und auch so gemeint: Das letzte, was wir gebrauchen konnten, waren Ratschläge von Menschen, deren längst vergangene Lebensrealität mit unserer aktuellen fast nichts gemein hatte (nicht zu verwechseln mit dem »alten weißen Mann«, der im aktuellen Generationenkonflikt für den saturierten, reaktionären Besitzstandswahrer steht).
Erst später, als Erwachsene, wussten wir den einen oder anderen Hinweis einzuordnen und überhaupt so etwas wie Respekt dafür aufzubringen – in dem Maße, in dem wir selbst langsam hinüberglitten in das Lager derjenigen, die manche Situationen schon zum wiederholten Male erlebt hatten und nun anfingen, Ratschläge zu erteilen. An Jüngere, die eigenen Kinder oder gar schon Enkel … der »Krieg« stand dabei weniger für das tatsächliche Ereignis (meine Großväter, *1911 und *1921, waren im Krieg gewesen), sondern für eine längst vergangene Zeit. Und der »Opa« war auch nicht immer ein echter Großvater, sondern nur einer der Älteren, in einer anderen Zeit verhaftet (zumindest nicht in unserer Aktualität angekommen), was seine Aussagen oft seltsam wirken und ihn zuweilen irgendwie kauzig erscheinen ließ …

Wenn ich jetzt als »Opa« erzähle, dann einerseits, um die Subjektivität meiner Aussagen auf dieser Website zu unterstreichen, die bisweilen auch kauzig daherkommen kann. Andererseits war ich Jahre und Jahrzehnte nicht nur ein Fan (Konsument) populärer Kultur, sondern habe nicht wenige Jahre meines Lebens damit verbracht, für einen Plattenversand bzw. -vertrieb (bzw. -Label) zu arbeiten, Texte für Fanzines und Periodika zu schreiben, eine Buchreihe mitzubegründen und (eine Zeit lang) mitherauszugeben, einen Kulturort mitzubetreiben, als DJ in der Öffentlichkeit aufzutreten etc. Sollte es mir gelingen, einige dieser Erfahrungen so zu schildern, dass (ältere) Leser:innen manches wiedererkennen oder (jüngere) daraus Inspiration für ihr eigenes Tun oder Lassen ableiten können, dann läge das schon weit jenseits meiner Erwartungen an dieses Blog hier.

Die Unterzeile dieses Blogs, »Opa erzählt vom Tonbandgerät«, verweist also auf zwei Aspekte – zuerst auf mein Alter: Bei meiner Geburt war mein Großvater (väterlicherseits) 47 Jahre alt, und mein Vater wurde mit 51 Jahren zum ersten Mal Großvater. Dieses Alter habe ich nun ebenfalls erreicht – allerdings ohne dass meine Frau und ich bisher von einem unserer beiden Söhne zu Großeltern gemacht worden wären.
Zum anderen dient mir das Tonbandgerät als Chiffre für die Selbstermächtigung im (aktiven) Mediengebrauch, es ist technisch gesehen noch archaischer als der über Jahrzehnte omnipräsente Kassettenrekorder (zuhause, als Walkman unterwegs oder im Auto verbaut). Im Zeitalter von Streamingdiensten und Playlists, Youtube und Smartphones wird schnell vergessen, dass lange Zeit der Kassettenrekorder das Mittel der Wahl war, um sich Medieninhalte (von Tonträgern oder aus dem Radio) anzueignen, zu kopieren, zu kompilieren (der Begriff »Mixtape« wird heute noch hie und da für Playlists hergenommen) und zu teilen. Gleichzeitig bot diese vergleichsweise primitive Technologie auch Möglichkeiten, das aufgenommene Material zu manipulieren, und zwar im Wortsinn: Tonbandgerät und Kassettenrekorder (wie auch Plattenspieler) erfordern echte Handarbeit, nicht nur Gesten. Und sie beförderten eine D.I.Y.-Kultur nicht nur bei den Konsumenten wie mir, sondern auch bei Produzenten, die mit teils primitiven Mehrspurgeräten unerhörte Collagen fabrizierten, am Fotokopierer Flyer, Plakate und Fanzines schufen. Sich aktiv in die alltägliche Kultur einbrachten. Dieser D.I.Y.-Ethos ist ein Leitmotiv, das mich immer begleitet hat und es auch heute noch tut – und darum wird es in meinen Texten hier immer wieder gehen.

Daneben werde ich auch Themen abseits der Populärkultur behandeln – das Persönliche ist im gleichen Maße politisch, wie Politik in jeden meiner bzw. unserer Lebensaspekte, beruflich oder privat, hineinwirkt. Wer beim bloßen Erwähnen des Wortes »Politik« abwinkt und meint, »das bringt doch nichts«, lebt nur ein halbes Leben …